Wahnsinn ist eine Metapher von Techniken
„Der Gott der Ohren“ ist ein großartiger Aufsatz über Pink Floyd im Allgemeinen, sowie eine Interpretation des Songs „Brain Damage“ im Speziellen.
Von Christian Augustin
Eigentlich, so Kittler in seinem Aufsatz, benötigt der Song “Brain Damage” gar keine Beschreibung. Der Hirnschaden ist ja immer schon angerichtet. Was genau angerichtet ist, wie Pink Floyd damit künstlerisch umgehen, ist Kittler dann aber doch eine 18-seitige Analyse wert. Selbige ist eine brillante Exegese der Texte von Roger Waters („Wörter der Vergängnis zu entreißen, ist das einfache Geheimnis jeder Lyrik“), der Musiktechniken und Überwältigungsästhetik in Werken von Pink Floyd.
Friedrich Kittler war Kulturwissenschaftler. Der Begriff “Technische Medien” steht im Zentrum der Denkschule Kittlers. Kittler verstarb, leider viel zu früh, im Alter von achtundsechzig Jahren in einem Krankenhaus in Berlin im Jahre 2011. Für jemanden wie ihn, für den der Mensch und die Technologie untrennbar miteinander verlinked waren, dessen Leben am Ende an lebenserhaltenden Maschinen hing, war es den letzten Befehl zu geben: ‘Alle Apparate ausschalten’ – switch off all apparatuses.
P.S.: Jeden und alles erfassen: Für den Medientheoretiker Friedrich Kittler war schon im Jahr 1986 klar, wohin die Reise der NSA geht: taz Artikel von 1986 über NSA.
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Wenn das einfache “Geheimnis” der Lyrik ist, “Wörter der Vergängnis zu entreißen”, ist es ein Skandal, das auszuplaudern 😉
Seine Bemerkungen über “The Wall” habe ich zweimal hören müssen. Beim ersten Mal hoffte ich noch, ich hätte mich verhört.
Sehr merkwürdige und seltsame Aussagen.Ich glaube er hat Syd Barrett vergöttert und wenn ich ihn richtig verstanden habe war ja wohl nach DARK SIDE… für ihn Schluss.Na,jeder sowie er es mag.
Ich kann nicht allzuviel damit anfangen.
Na denn
Lg
Achim
Es gibt sogar Leute, die der Meinung sind, dass nach Atom Heart Mother die guten musikalischen Zeiten von PF zuende waren! Das trifft auf jeden Fall für die psychedelische Musik zu, was damit auch wohl gemeint ist …
Gruss, Rudi
Das schöne und zugleich faszinierendste an unserer Lieblingsband ist ja eben genau dass sie so viele Phasen durchlebten mit denen sich der eine mal mehr, mal weniger anfreunden kann. Das führt manchmal zu sehr kuriosen Aussagen, die spätere Alben direkt in die Ramschecke stellen, ohne sie vielleicht mal mit Verstand gehört zu haben. Andererseits ist es mir aber lieber, als mit Leuten über Pink Floyd zu reden, deren Einsicht in die Welt dieser Gruppe aus dem Song “Another Brick in the Wall Pt. II” besteht…
Da stimme ich Dir zu, Timo. Und es gibt ja hier sowohl die “Gnade der frühen Geburt” wie auch der “späten”: Die Älteren haben alle Phasen und Wandlungen der Band miterlebt, sind abgesprungen oder der Gruppe durch die Jahrzehnte gefolgt – Jüngere haben sich die floydsche Geschichte retrospektiv erschlossen. Letzteres fällt sicherlich in allen Facetten leichter. Der spätgeborene Fan hat sich nicht jahrelang an einen Stil und eine Platte gewöhnen können; die vielen “Kulturschocks” der Älteren, die bei jeder Veröffentlichung etwas anderes erwartete, bleiben ihm erspart. In meinen Augen relativiert das Kittlers Bemerkungen zu The Wall, die ich ansonsten, um ehrlich zu sein, genauso en passant als borniert abtun würde, wie er sie gemacht hat.
Recht bemerkenswert, insbesondere nach der 3 SAT Doku vom letzten Sonntag, finde ich seine Bemerkung: “…als Dave Gilmour aus dem Bett von Brigitte Bardot zu Pink Floyd wechselte…” Dieser Sachverhalt, sofern tatsächlich zutreffend, wäre neu für mich. In der besagten Doku wurde ja u.a. gesagt, wie Gilmour und Barrett in St. Tropez auf der Strasse musizierten und bettelten, währenddessen die Bardot bereits zum Weltstar aufstieg und dort ein Haus bezog. Wie kam er dann – bei diesen nicht gerade marginalen wirtschaftlichen Unterschieden – in deren Bett? Ist darüber von anderer Seite her mal was überliefert worden? Aus Gilmours Mund oder Feder habe ich davon noch nie etwas gehört bzw. gelesen. Nun ja, auch kein Wunder, denn wenn es tatsächlich wahr wäre, schätze ich ihn als absoluten Gentleman ein, der über sowas selbstverständlich schweigt :-)) Rein äusserlich, nämlich topaussehend wie die beiden Anfang der 60er Jahre waren, würde es aber schon sehr passen.
Dito Sunny,
auch ich habe mir Kittlers Äußerung zu The Wall 80/81 in Dortmund ein zweites, sowie drittes Mal angehört. Schon allein aus dem Grunde, da ich dem „mißraten Stück Schwachsinn“ damals auch beiwohnte. Und ich gebe dir Recht, hier schwingt im gewissen Maße „etwas“ Borniertheit mit. Ich hatte das Glück, Kittlers Aussagen, entsprechend der Reihenfolge ihrer Entstehung, priomo den Aufsatz (82’), secundo das (leider exzerpierte) Statement (10’ o. 11’), gelesen / gesehen zu haben, somit war es mir wiederum ein Leichtes mit einem lachenden Auge darüber hinwegsehen zu können.
Ferner kommt mir diese Form von ‚borniertem Absolutismus’ irgendwie bekannt vor:
“Just rubbish … nonsense from beginning to end.” (Roger Waters on ‘The Division Bell’)
All dem zu Trotz, halte Friedrich Kittler für einen sehr, sehr klugen Mann, der uns mit Sicherheit noch vieles mehr zu sagen gehabt hätte. Wenn auch manches ein wenig verklausuliert: http://vimeo.com/54244450
Gruß,
Christian
Allerdings 🙂
Kittler: „Im Vergessen des Wortes Vergessen fallen Geäußertes und Äußerung zusammen. Der Taumel dieses Zusammenfalls ist die Wahrheit.“Der Psychoanalytiker Harald Weilnböck schrieb, dass die Lektüre dieses Satzes ihn intellektuell in einen ebensolchen „Taumel“ versetzt habe.
HME: “Das Irre-Reden der Philosophen”
🙂
Sehr interessanter Bericht, kannte ich noch nicht, den Beitrag von Hr. Kittler, bin auch ganz der Meinung von Sunny, Rudi und Timo.
Finde es manchmal erstaunlich, wie Intellektuelle ihre Meinung als “Allgemeingültig” formulieren, so als wären sie die “Vor-Denker” – ist so mein Eindruck.
Ich kann mit absolut jeder Schaffensphase von Floyd “was anfangen”… 🙂 Ich “sehe” die Alben immer im Kontext der damaligen Zeit, klar auch retrospektive, da ich auch einer der “Nachgeborenen” bin.
Heute schaue ich mir the Australian Pink Floyd Show in München an, und da wird mir dann – sollten sie z.B. See Emily Play oder Arnold Layne oder Anderes von Barett im Set haben – wieder angenehm aufallen, wie vollkommen unterschiedlich im Vergleich zu späteren Phasen das Material doch in der 60er psychedelischen Ära war… 🙂
Friedrich Kittler, Denker, Programmierer, Literatur- und Medienwissenschaftler, wichtigster Professor an der Humboldt-Universität, oder, wie DIE WELT schrieb: letzter Universalgelehrte, den es in Deutschland noch gab, ist tot. Ist am vielen Nachdenken, Zigarette rauchen und Gin trinken zu Grunde gegangen. Hat seine sterbliche Hülle verlassen und ist zu Pink Floyds „Brain Damage“, gespielt auf Kirchenorgel, im Krematorium Baumschulenweg endgültig Geist geworden. (…)
Bei der Trauerfeier anwesend waren schöne Frauen aus der Ukraine, renommierte Gelehrte aus Wien, bekannte Dramaturgen von Berliner Theatern. Und die Bandmitglieder von Pink Floyd, mit denen Kittler persönlich bekannt war.
Roman Kraner, Berlin, 26.11.2011
oh, krass wusste ich nicht, danke für die Info, man lernt nie aus..;-)